Der Friedefürst
Meine Generation kennt Krieg – Gott sei Dank – nur aus den verschiedenen Medien. Krieg ist für mich etwas, das woanders stattfindet, nicht hier. Krieg betrifft mich eigentlich nicht. Das ist in den letzten Monaten anders geworden. Eine neue Dringlichkeit ergreift uns. Die Ukraine ist ein Kriegsschauplatz – am Rande von Europa. Israel ist ein anderer Schauplatz. Die Auswirkungen dieses Konfliktes sind auch bei uns zu spüren. Ich erwache und bemerke, dass ein neuer Antisemitismus um sich greift. Und so ändern sich die Zeiten. Krieg ist nahe. Und ich erschrecke.
Und dann lese ich alte Texte wieder ganz neu und anders. An Weihnachten ist das eingetreten, was der Prophet Jesaja bereits vor langer Zeit angekündigt hat. Er wendet sich an ein Volk, das in der Dunkelheit lebt. Er sagt:
„Das Volk, das in der Finsternis lebt, hat ein großes Licht gesehen.
Es scheint hell über denen, die im düsteren Land wohnen.
2Gott, du lässt sie laut jubeln, du schenkst ihnen große Freude. Sie freuen sich vor dir…
3Zerbrochen hast du das drückende Joch, die Stange auf ihrer Schulter und den Schlagstock der Peiniger.
4Verbrannt wird jeder Stiefel, mit dem die Soldaten dröhnend marschierten.
Ins Feuer geworfen wird jeder Mantel, der im Krieg mit Blut getränkt wurde.5Denn uns wurde ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt worden. Ihm wurde die Herrschaft übertragen.
Er trägt die Namen: wunderbarer Ratgeber, starker Gott, ewiger Vater, Friedefürst.
6Seine Herrschaft ist groß und bringt Frieden ohne Ende.
Er regiert als König auf dem Thron Davids und schafft Recht und Gerechtigkeit. So festigt und stärkt er sein Königreich jetzt und für immer. Der Herr Zebaot bewirkt das in seiner leidenschaftlichen Liebe.“ (Jesaja 9)
Wie anders klingt das, als die Jahre, in denen wir Weihnachten lediglich mit Konsum assoziiert haben, mit bunten Lichtern und Übergewicht. Die Zeit, in der wir leben, lässt einen solchen Text ganz neu zur Geltung kommen.
Die Finsternis ist uns sehr nahegekommen. Nicht nur als Novembertraurigkeit oder Dezembertristesse. Die Kriege, die wir täglich beobachten und die auch Auswirkungen auf uns haben, zeigen, dass Weihnachten absolut notwendig ist.
Die Geburt eines „Friedefürsten“ ist dringend an der Zeit. Doch wie kann Friede gelingen?
Diese Frage beantwortet der Text fast beiläufig ganz am Ende.
Es ist Gott selbst, der diese Zeit bewirkt. Und sein Motiv ist die Liebe. Sie wird als leidenschaftliche Liebe bezeichnet. Gott nimmt Leiden in Kauf, um zu uns zu kommen. Er lässt sich auf das Leiden der menschlichen Existenz ein. Er nimmt das Risiko in Kauf, im Leben zu scheitern – und tut das auch am Ende auf grausame Weise.
Und trotzdem bringt er mit seinem Leben den Frieden in die Welt. Aber die Welt hat diesen Frieden noch nicht ergriffen. So bleibt dieser Text weiterhin eine Verheißung. Friede ohne Ende soll es werden. Die leidenschaftliche Liebe Gottes zu uns Menschen wird sich durchsetzen. Diese Verheißung gilt für uns Christen, die wir in dem Friedefürsten Jesus Christus erkennen.
Diese Verheißung gilt auch für unsere jüdischen Geschwister, die mit uns auf den Friedefürsten warten. Sie haben es in diesen Tagen sehr notwendig. Und wir leiden mit ihnen. Wir leiden mit allen Menschen, die im Krieg sterben und verletzt werden. Deshalb ist der Advent in diesem Jahr eine ganz besondere Zeit der Erwartung. Wir warten auf den Friede-fürsten. Und auf den Frieden ohne Ende, den er mitbringt. Das größte Geschenk, das wir an Weihnachten erhalten können.
Dekan Dr. Paul Metzger
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